
Urteil vom 06.11.2023, Az. 12 U 84/23
Klare Aussage zur Mieterliste als Beschaffenheitsvereinbarung
Das Oberlandesgericht Naumburg hat in einem bemerkenswerten Urteil entschieden, dass eine im Kaufvertrag enthaltene Mieterliste, die konkrete Netto-Mieteinnahmen ausweist, eine konkludente Beschaffenheitsvereinbarung darstellt. Fehlt einer der dort aufgeführten Einheiten – konkret einer Dachgeschosswohnung – die baurechtliche Genehmigung zur Nutzung als Wohnraum, liegt ein Sachmangel im Sinne des § 434 Abs. 1 BGB a.F. vor. Ein allgemeiner Haftungsausschluss schützt den Verkäufer in einem solchen Fall nicht.
Der Sachverhalt im Detail
Im Zentrum des Rechtsstreits stand ein Mehrfamilienhaus mit acht vermieteten Wohneinheiten, das die Klägerin im Jahr 2020 von der Beklagten erwarb. Dem notariellen Kaufvertrag war eine Mieterliste beigefügt, in der monatliche Netto-Mieteinnahmen in Höhe von insgesamt ca. 1.155 € ausgewiesen waren. Die darin enthaltene Dachgeschosswohnung sollte laut Liste 350 € einbringen.
Nach Übergabe stellte die Käuferin fest, dass gerade diese Dachgeschosswohnung nicht über eine Baugenehmigung verfügte und somit rechtlich nicht vermietbar war. Auf ihre Aufforderung hin legte die Verkäuferin keine Genehmigung vor. Daraufhin erklärte die Klägerin die Kaufpreisminderung in Höhe von 9,71 % (entsprechend dem Anteil der Dachgeschosswohnung an den Mieteinnahmen) und verlangte die Rückzahlung von 97.100 € sowie anteilige Nebenkosten wie Makler-, Notar- und Grunderwerbsteuerkosten.
Das Landgericht Halle gab der Klage mit Urteil vom 28.03.2023 (Az. 3 O 259/22) weitgehend statt und sprach der Käuferin rund 109.000 € zu. Die Beklagte legte Berufung ein.
Die Entscheidung des OLG Naumburg
Das OLG Naumburg bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz fast vollständig. Lediglich 451,45 € wurden aus rechnerischen Gründen korrigiert. Die Beklagte wurde zur Zahlung von 108.793,54 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verurteilt.
Rechtliche Würdigung der Mieterliste als Beschaffenheitsvereinbarung
Nach Auffassung des Gerichts stellt die dem Vertrag beigefügte Mieterliste eine konkludente Vereinbarung der Beschaffenheit des Kaufgegenstandes dar. Die Angabe konkreter Mieteinnahmen sei nach gefestigter BGH-Rechtsprechung ein rechtlich relevanter Hinweis auf das Ertragspotenzial, das dem Käufer zugesichert wird.
Dass die Dachgeschosswohnung nicht genehmigt und damit nicht vermietbar war, begründe einen erheblichen Sachmangel (§ 434 BGB a.F.), der den Käufer zur Kaufpreisminderung berechtigt. Ein pauschaler Haftungsausschluss sei laut Gericht nach § 444 BGB unwirksam, wenn eine vereinbarte Beschaffenheit fehlt.
Neben der Rückzahlung eines Teils des Kaufpreises wurden auch Nebenkosten ersetzt, die im Vertrauen auf die Richtigkeit der Angaben angefallen waren.
Bedeutung für die Praxis: Worauf Käufer und Verkäufer achten müssen
Das Urteil hat erhebliche Bedeutung für die Praxis des Immobilienkaufs. Es zeigt, dass selbst unscheinbare Vertragsbestandteile wie Mietübersichten weitreichende juristische Wirkungen entfalten können.
Verkäufer sollten vor Vertragsabschluss sicherstellen, dass alle aufgeführten Mietobjekte auch baurechtlich genehmigt sind. Andernfalls drohen hohe Rückabwicklungsrisiken. Mietangaben sollten nur gemacht werden, wenn sie tatsächlich erzielbar und rechtlich abgesichert sind.
Käufer sollten stets auf Vorlage von Baugenehmigungen und Nutzungsfreigaben bestehen. Die Aufnahme einer Mieterliste im Vertrag kann – wie das Urteil zeigt – jedoch eine wirksame Grundlage für spätere Gewährleistungsansprüche bieten.
Auch für Makler und Finanzierer ist Vorsicht geboten: Sie sollten sich vor der Weitergabe oder Bewertung von Mieteinnahmen absichern, dass baurechtliche Voraussetzungen erfüllt sind.
Handlungsempfehlungen für Betroffene
Für Verkäufer:
- Vor Verkauf baurechtliche Genehmigungen einholen und dokumentieren.
- Mieterliste nur bei rechtlich genehmigter Nutzung beifügen.
- Haftungsausschlüsse klar und konkret formulieren, etwa unter Ausschluss bekannter baurechtlicher Risiken.
Für Käufer:
- Vor Kauf Bauakten prüfen und Mietangaben verifizieren.
- Bei fehlender Genehmigung unverzüglich Mängelrechte geltend machen.
- Mieterliste als vertragliche Basis für spätere Gewährleistung nutzen.
Für Rechtsanwälte und Berater:
- Beim Vertragsentwurf konkrete Beschaffenheitsmerkmale definieren.
- Haftungsklauseln kritisch prüfen und rechtssicher formulieren.
Fazit: Vermietbarkeit muss gewährleistet sein
Das Urteil des OLG Naumburg schafft Rechtssicherheit und verdeutlicht: Wird in einem Immobilienkaufvertrag mit konkreten Mietangaben geworben, muss die baurechtliche Realität damit übereinstimmen. Ist das nicht der Fall, drohen erhebliche Rückabwicklungs- und Haftungsrisiken. Käufer können sich auf solche Angaben berufen – und im Zweifel Minderung und Schadensersatz durchsetzen.



